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Kennt ihr diese Jobs, die nur existieren, um irgendeine alberne gesetzliche Anforderung zu erfüllen?
So eine Stelle hatte ich 2013-2014. Ein typischer Arbeitstag sah etwa so aus:
Abends ruft mich die Dispatcherin an, “kannst du morgen nach Nürnberg fahren?”
Okay, sag ich, und bete, dass es kein Druckerumzug ist. “Ist ein Druckerumzug, bitte den Kollegen in Karlsruhe abholen.”
Also gehe ich am nächsten Morgen zu Sixt, Mietwagen steht bereit, ab jetzt “verdiene” ich Geld.
Fahre also nach Karlsruhe. Da hole ich den Kollegen ab, ein Kettenraucher Namens Sergejy oder Ivgeniy Prktologowyzc.
Zusammen fahren wir dann von Karlsruhe nach Nürnberg zu einer Liegenschaft der Bundeswehr. Die haben einen IT-Dienstleister, damals die BWI, heute keine Ahnung, die wiederum einen Logistiker haben, der wiederum einen Personaldienstleister hat.
Für die letzte Firma in der Kette (die auf “Consulting” endet, falls hier ein früherer Kollege mitliest) arbeitete ich, und verdiente 8,25 € die Stunde. Verkauft wurde ich als “IT Systemtechniker” oder was auch immer, für 39 € die Stunde. Die Verträge waren auf Tagesbasis, also für jeden Auftrag musste ich einen neuen Vertrag unterschreiben.
Ein guter Tag lief so: zu Sixt radeln, manchmal zu Enterprise, Auto mieten, von HD nach Koblenz oder Bonn, einmal sogar nach Hamburg, in einer Liegenschaft Maus und Tastatur oder ein HDMI-Kabel austauschen, und wieder fünf Stunden nach Hause fahren. Da schätzt man sein Tageswerk: den Steuerzahler 250+ € kosten, dabei selbst kaum Kohle kriegen, und effektiv vielleicht zehn Minuten arbeiten.
Dieser Tag war einer der nicht so guten. Druckerumzüge durften wir nicht allein machen, und wo soll man in einer Kaserne auch schon jemanden zum Anpacken finden, also durften wir zu zweit durch die Republik fahren, einen Netzwerkdrucker abbauen (Ethernet- und Stromkabel ziehen), irgendwo anders wieder aufbauen (Ethernet- und Stromkabel einstecken). Im schlimmsten Fall drei Räume weiter auf demselben Flur. Hab ich erwähnt, dass die Teile Rollen haben?
Egal, also ich fahre mit irgendeinem Alkoholiker und Kettenraucher, der keinen Führerschein mehr hat, nach Bayern. Ständig schreit er rum, weil jemand auf der Autobahn nicht schnell genug, oder zu schnell fährt, raucht eine Kippe nach der anderen, ignoriert, wenn ich ihm sage er soll das lassen, schlägt plötzlich aufs Amaturenbrett, weil er wohl auf dem Handy was sieht, was ihm nicht passt.
Vielleicht nicht ganz zufällig, war das die Zeit, zu der ich anfing, jede Ausgabe in Arbeitsstunden umzurechnen. Warmmiete? 42 Stunden. Wocheneinkauf? Fünf Stunden. Der Unterschied zwischen Raststättenkaffee und selbstgekochtem Instant? Acht Minuten Autofahrt neben Krawczyk, dem kettenrauchenden Choleriker.
Wir kommen an, Druckerumzug dauert 15 Minuten, runden wir auf eine Stunde auf. Macht den Kohl auch nicht mehr fett, mittlerweile wurden bestimmt schon 10 Arbeitsstunden berechnet. Sorry, Steuerzahler.
Dispatch ruft an: “Wo ihr schonmal in Bayern seid, könnt ihr morgen nach Stetten fahren? Da ist ein Rollout, die brauchen noch Leute.”
Also gut, auf gen Stetten, übrigens in BaWü, nicht in Bayern, aber weil der Tag fast vorbei ist, fahren wir erstmal in Augsburgs widerlichstes Hostel, wo für uns zwei Betten in einem Viiiielbettzimmer gebucht wurden. Das macht übrigens der Logistiker, nicht der Personaler, und vermietet die Plätze dann an den Personaler weiter. Sicher nicht ohne deftigen Aufschlag.
Aber egal, ich denke an die üppigen Stunden am nächsten Tag, an die 15 € Verpflegungsgeld, die bei jeder Übernachtung fällig werden. Mentale Buchführung: fünf Stunden noch, bis ich die Miete für nächsten Monat zahlen kann. Dann nochmal zwölf für die Verpflegung, und nochmal zwei oder drei für ein schönes Date mit der dickbusigen Svenja.
Rechnet noch jemand mit, wie viel der Ausflug den Steuerzahler bisher kostet?
Nächster Morgen, Mojciech hatte wohl eine schlechte Nacht, flippt beim Fahren mehrfach völlig aus. Wirft irgendwann wütend sein Handy auf die Rückbank. Ich fahre ihm nicht schnell genug, er ist zu dumm zu verstehen dass wir für die Fahrzeit genauso bezahlt werden wie für den Rollout, also greift er irgendwann ins Lenkrad, um mich auf die linke Spur zu bugsieren.
So nicht du Spacko, denk ich mir und fahre die nächste Raststätte an. “Du trinkst jetzt erstmal nen Kaffee, bist ja kaum auszuhalten”, sag ich zu ihm. Polatzki steigt aus um sich einen Kaffee zu holen, lässt das Handy im Wagen. Er geht rein, ich fahre weiter, zurück auf die Autobahn, und dort auf den nächsten Parkplatz.
Ja hallo Dispatch, ich warte jetzt seit über 'ner Stunde auf den Kollegen. Der wollte kurz zum Lidl um sich Schnapps zu holen. Jetzt ist er verschwunden. Ne ich erreiche ihn nicht. Ja der geht nicht ans Handy. Ja seit 'ner Stunde schon, ich muss jetzt echt zum Rollout.
“Ja dann fahr schonmal los, wir versuchen ihn zu erreichen.” Viel Glück, denk ich mir, und werfe sein Nokia in einen Raststättenmülleimer.
Beim Rollout bauen wir dann PCs auf, legen Kabel, schließen Telefone an etc. Mal zu dritt, mal zu zehnt, mal dauerts zwei Tage, mal 'ne Woche. Immer gemütlich, denn jeder braucht die Stunden, und von oben kommt kein Druck, weil unser Boss, und sein Boss, und sein Boss, an jeder Stunde gut verdienen.
Wem das Geld nicht reichte, der durfte entweder hoffen, zufällig an dem Tag “Teamleiter” zu sein und 50 Cent pro Stunde mehr zu verdienen (besonders geil bei Aufträgen zu zweit, bei denen dann der Geringverdiener den anderen automatisch hasste).
Oder er machte es wie die älteren Kollegen und holt sich die Festplatten und Arbeitsspeicher aus den zu entsorgenden Alt-PCs. Gerade bei den HDDs aus Bundeswehrrechnern natürlich eine tolle Idee…
Der ganze Job existierte nur, weil die Soldaten nicht ihre eigene Hardware austauschen durften, nichtmal Peripherie, irgendwas mit Versicherung.
Egal, am Ende zahlt es eh der Steuerzahler. Also ihr. Und ich brauchte die Schichten. Danke auch.
Wurde der Kollege bei der Raststätte irgendwann wieder gefunden? ;D
Ab und zu bin ich auf Reddit über deine Stories gestolpert, jedes Mal ein Genuss zu lesen, schön, dich jetzt hier auch zu sehen.
Ich bin mir sicher, dass einiges etwas ausgeschmückt ist, aber es ist so exakt auf der Grenze zwischen “Das muss Satire sein” und “ich weiß das Leute genau so drauf sind”, dass es ein insgesamt stimmiges Bild gibt.
Sehr schön geschrieben, krasse Story. Irgendwie nicht ganz überraschend…