Mehr als 20 Millionen Menschen haben einen Hauptschulabschluss. Davon sitzen nur 20 im Bundestag. Warum das unsere Demokratie gefährden könnte.

Tina Winklmann ist eine seltene Erscheinung im Deutschen Bundestag. Die Oberpfälzerin sitzt für die Grünen in Deutschlands höchstem Parlament in Berlin. Sie tritt zu ihren Reden über Sport- und Arbeitsmarktpolitik im Plenum meist in Turnschuhen ans Pult und spricht mit einem unverkennbar baye­rischen Akzent. Und sie hat es dorthin als eine von wenigen Abgeordneten mit Hauptschulabschluss geschafft.

„Politik steht jedem und jeder offen, egal mit welchem Abschluss“, sagt Winklmann. Häufig würde den Grünen unterstellt, eine „Akademiker-Partei“ zu sein, berichtet sie. Das weist die Politikerin jedoch zurück. Trotzdem haben die meisten der 736 Bundestagsabgeordneten studiert. Extrem unterrepräsentiert sind dagegen Abgeordnete mit Hauptschulabschluss, die – wie Winklmann – nach der Schule eine Ausbildung absolviert und sich danach beruflich weiterqualifiziert haben.

Fast ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hatte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2022 den Haupt- oder Volksschulabschluss. Das sind mehr als 20 Millionen Menschen, rund ein Drittel der Wahlberechtigten. Jedoch sitzen laut Datenhandbuch des Bundestags in dieser Legislaturperiode insgesamt nur 20 Volksvertreterinnen und -vertreter mit Hauptschulabschluss im Parlament. Tina Winklmann ist eine von fünf, mit denen die taz gesprochen hat.

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Für viele dürfte ein solcher Weg jedoch weniger selbstverständlich sein. Von einer „Repräsentationslücke“ spricht daher die Hamburger Soziologin Christiane Bender. „Da fehlen Stimmen im Bundestag, die von Menschen geäußert werden können, die vorwiegend von den Verwerfungen des sozialen Wandels betroffen sind“, sagt Bender. Durch „Werbung, Werbung, Werbung“ will die Grünen-Parlamentarierin Winklmann mehr Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss die Möglichkeit zu politischer Teilhabe sowie den Weg in die Parlamente aufzeigen. „Viele Menschen trauen sich schlichtweg nicht den Weg zu gehen“, so Winklmann. Sie besuche öfter Berufs- und Mittelschulen, wie die Hauptschulen in Bayern heißen, motiviere dort für politisches Engagement und ernte „positive Reaktionen“.

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Dass es trotz Motivation Hürden geben kann, sich politisch zu engagieren, unterstreicht Christiane Bender. „Milieueigenarten des Bildungsbürgertums, was den Kommunikationsstil angeht, prägen zurzeit die Politik“, sagt sie. Es gibt also zahlreiche Politikerinnen und Politiker, die davon profitieren, dass sie aus einem gehobenen Milieu kommen und sich dadurch gewählter ausdrücken können. Bevölkerungsgruppen aus anderen Schichten können sich dadurch ausgegrenzt fühlen. Studierte Abgeordnete hätten laut Bender häufig bereits ein langes Trainingsprogramm durch viele Seminardiskussionen hinter sich, um Debatten erfolgreich zu bestreiten. Aus Benders Sicht sollte in Parlamenten „Sprache aber eher dereguliert“ werden, um Barrieren der Verständigung abzubauen. Sie fordert „mehr Dialog auf Augenhöhe“.

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Eine Quotenregelung hält sie dagegen weder für angemessen noch mit dem Grundgesetz vereinbar: „Quoten machen Wahlen tendenziell überflüssig.“ Der Bundestag sei „kein Ständeparlament“. Lobbygruppen könnten laut der Sozialwissenschaftlerin fordern, Abgeordnete zu nominieren, die ihre Interessen vertreten. „Jede hervorgehobene gesellschaftliche Gruppe könnte dann mit gleichem Recht verlangen, Abgeordnete „zu delegieren.“ Das Parlament würde dadurch an Legitimität einbüßen, Beschlüsse für die ganze Bevölkerung zu fassen.

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    1 year ago

    Das Grundproblem ist einfach, dass viel zu wenig Menschen in Parteien sind. Wenn man sich die Mitgliederentwicklung von bspw. SPD und CDU ansieht dann Sank diese von ~940k | ~780k im Jahr 1990 auf ~390k | ~385k im Jahr 2023. Auch bei den anderen Parteien ist dieser Abwärtstrend zu Beobachten, mit ausnahmen von Bündnis90/Grüne 41k 1990 auf 126k 2021 und der Partei Die Partei, aber die ist ja auch sehr gut.

    Noch krasser ist übrigens der Unterschied nach Ost und West. Und da brauchen sich dann die Ostdeutschen nicht wundern, wenn ihre Themen nicht in der Politik ankommen, da Politik eben auch von denen gemacht wird die hingehen und sich einbringen.

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      fedilink
      Deutsch
      31 year ago

      Der erste Link ist wirklich ein spannedes Dokument.

      Da mich interessiert hat welchen Einfluss die Wiedervereinigung auf die Mitgliederzahlen hatte:

      Die BRD hatte 1989 60,5 Millionen Einwohner und die DDR 18 Millionen.
      +30% wären also möglich gewesen, rein nach Bevölkerungszahl.

      Daher hier noch Vergleichszahlen der BRD aus 1988:
      SPD ~912k
      CDU ~677k

      Im Vergleich zu 1990 ist die CDU ganz ordentlich gewachsen auf ~790k (+20%), die SPD aber nur auf ~943k (+2,5%).

      Dabei fehlt aber die Linke/PDS/SED die 1989 2,3 Millionen, 1990 ~280k und 1991 ~172k Mitglieder hatte und die seit 2004 zwischen 60-64k Mitgliedern liegt.
      Das war dann aber wohl eher Pflichtmitgliedschaft und verspätetes Austreten als wirkliche Überzeugung.